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SALZBURGER NACHRICHTEN 2024

Der Bierbrunnen ist nicht versieg(el)t

Salzburger Nachrichten | Autorenschaft Gernot Stadler

Ein Vorzeigeprojekt legt offen, was beim Verdichten in der Stadt alles möglich ist.

Seit dem Vorjahr ist das Büro-, Geschäfts- und Wohngebäude am Lieferinger Spitz in Salzburg fertig

Wenn bebaute flächen in der Stadt effizienter genutzt werden, heißt das Nachverdichtung. Städte sollen so nach innen wachsen, die Wohndichte erhöht und der Zersiedlung entgegenwirkt werden.   Gleichzei­ tig geht es auch im Stadtraum darum, beste­ henden Grünraum möglichst zu erhalten. Ein Projekt, das alle diese Parameter be­ rücksichtigt, ist im Vorjahr auf der Münch­ner Bundesstraße entstanden. Das fünf- bis sechsstöckige Gebäude ragt unübersehbar über den Kreuzungsbereich mit Forellenweg und Lieferinger Hauptstraße. Start für das Projekt war im Herbst 2021 mit der Verbreiterung der Münchner Bun­ desstraße auf vier Fahrspuren plus Rad- und Gehweg. Zwei Häuser wurden abgerissen, darunter das ehemalige Gasthaus Bierbrun­ nen. Außerdem musste ein 280 Quadrat­ meter großer Grundstücksstreifen für die Straßenverbreiterung an das Land abgetre­ ten werden. Auf der verbliebenen etwa 2050 Quadratmeter großen, bebaubaren Fläche wollte der Immobilienentwickler Fa­ bian Vorderegger ein sinnvolles und archi­ tektonisch anspruchsvolles Projekt realisie­ren, das auch ein bestehendes Bürogebäude in zweiter Reihe miteinbezog. Der Plan dafür stammt vom Architektur­büro Lechner & Lechner, das auch das präg­nante Nahversorgungszentrum im Norden von Itzling mitverantwotete. In der Münch­ner Bundesstraße hieß es für den Architek­ten Horst Lechner, "aus der Pragmatik eine gestalterische Logik zu entwickeln, etwas anderes war auf diesem Bauplatz nicht mög­lich".

Der beengte Raum und die ehrgeizigen Pläne erforderten von seinem Team viele "Bastelstunden" mit bis zu 50 Modellen aus dem 3D-Drucker, bis das jetzige Ergebnis feststand. .,Eine technische Lösung in etwas formal Ansprechendes umzuwandeln war bei dem Projekt eine echte Challenge", meint Architektin Christine Lechner. Entstanden ist ein markanter, klar gegliederter Baukörper, der sich deutlich von den belie­bigen Gewerbebauten entlang der Münch­ner Bundesstraße abhebt, aber auch einen guten Übergang zum ländlichen Gefüge Richtung Salzachseen schafft. 34 Mietwoh­nungen und 14 Gewerbeeinheiten fanden darin Platz.

Hoch über der B155

Die Tatsache, dass auf Seite der Münchner Bundesstraße ein großer Teil des Grund­stücks abgetreten werden musste, wird bei dem Projekt geschickt kompensiert. Das Ge­bäude überragt ab dem dritten Stockwerk den Straßenbereich auf Seite der Münchner Bundesstraße und des Forellenwegs um bis zu 7.5 Meter. Von Norden kommend fällt der kühn an den Rand der unteren Geschoße verschobene Baukörper gleich ins Auge. Rad- und Gehweg verlaufen teilweise unter dem Vorsprung hindurch. Der durch Fahr­bahn, Rad- und Gehweg ohnehin versiegelte Bereich wird auf rund 180 Quadratmetern Fläche doppelt genutzt. Vom auskragenden Bauteil in den drei obersten Geschoßen bie­tet sich eine völlig neue Sichtachse hoch über der Münchner Bundesstraße Richtung Altstadt und Kleßheim. Der insgesamt rund 20 Meter hohe Bau­körper ist wie ein Schutzschild gegen das hohe Verkehrsaufkommen und den Straßen­lärm an der Haupteinfahrtsachse in die Lan­deshauptstadt. An sie grenzen ausschließ­lich Geschäftsräume, Büros und Zugänge zu den Wohnungen. Dahinter öffnen sich die Wohneinheiten zur straßen- und schallabgewandten Seite des Gebäudes hin.. Die Mischnutzung von Wohnen und Arbeiten ist etwas Selbstver­ständliches in der Stadt. Man muss nur auf­ passen, dass alles seine geschützte Zone be­ kommt", sagt Christine Lechner.

Ruhige Wohnbereiche

Wie in einem Amphitheater ist der abgerun­ dete L-fönnige Baukörper auf der Rückseite Stockwerk für Stockwerk stufenförmig um großzügige Terrassen zurückversetzt. Die geforderten Mindestabstände zum Nachbargrundstück schaffen einen sanften Über­ gang zum dörflichen Charakter der Seiten­ straßen der Münchner Bundesstraße. Im Unterschied zur verbauten Straßenseite wird dem Grün viel Raum gegeben. Auf den .obersten Rängen" haben die Kinder ihren Bereich. Aus Platzgründen wurde der vorge­schriebene Kinderspielplatz auf das begrün­te Dach des Gebäudes gesetzt. Am höchsten Punkt gibt es sogar eine Spielwiese.

 

Entsiegelt und begrünt

Die Bilanz in Sachen Nachhaltigkeit ist durchaus herzeigbar. Die beiden Grundstü­cke, die früher an der Münchner Bundes­straße standen, waren fast durchgehend durch Gebäude und Parkplätze versiegelt. Der Neubau, der oberirdisch immerhin 3800 Quadratmeter Fläche nutzt, hat den Grund­ verbrauch kaum verändert. Laut Horst Lech­ner wurde aber trotzdem versucht, "soweit wie möglich zu entsiegeln". "Wir haben die Dächer begrünt, zwei Baumreihen, vertikale Bepflanzungen und große Blumentröge mit Sträuchern auf den Terrassen geschaffen." Ein Gebäude am Forellenweg blieb unver­ändert und wurde lediglich mit zwei Wohn­etagen in Holzbauweise überbaut. .,Das Ge­bäude zu erhalten war nicht nur eine prag­matische Überlegung. Ein Neubau hätte zu­sätzlichen CO,-Ausstoß, Energie- und Ressourcenverbrauch bedeutet. So wurde viel graue Energie bewahrt", ergänzt er.

Das Gebäude wird mit Erdwärme aus Tiefenbohrungen und Wärmepumpen be­ heizt und gewinnt Strom aus Photovoltaik­flächen am Dach. Das Verkehrskonzept stell­ te die Planer vor besonders große Heraus­forderungen. Für die Vergrößerung derbe­ stehenden Tiefgarage um Stapelparkplätze sowie eine mit einem Großraumlift erreich­ bare Fahrradtiefgarage wurde laut Horst Lechner .unterirdisch jeder verfügbare Qua­dratmeter genutzt". Das Mobilitätskonzept, das auch Carsharing miteinschließt, wird offenbar gut angenommen. Von den 34 für Wohnungen vorgesehenen Parkplätzen wer­ den nur zehn benötigt. Was war das Span­nende an dem Projekt? Horst Lechner: "Auf einem Flecken, den keiner schön findet, kann man kreativ sein. Hier gibt es weniger Denkverbote."

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